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Porträt

Stefan Waggershausen

Feuilleton-Porträt von Benjamin Burton

Nichts hat die Popgeschichte stärker geprägt als die Sehnsucht nach Idyllen. Besonders das amerikanische Kino hat uns die aufregendsten Träume von Idyllen präsentiert, die entweder in Happy Ends und Kitsch enden, oder – in ihren stärksten Momenten – in Selbstzerstörung oder düsterer Melancholie gipfeln. James Dean war so ein Held auf jener mystischen Grenzlinie, wo das Sehnen nach Glück, Liebe und Erfüllung in Einsamkeit und Sterben-Wollen umschlägt. Und dann sind da ja noch die großen, mystischen Helden der Rockgeschichte: Robert Johnson, Bob Dylan, John Lennon, Leonard Cohen, Eric Clapton, und die vielen anderen… Dass die Lebensentwürfe und Träume der Menschen heute diffus und zynisch geworden sind, verdanken wir einer rasend schnell beschleunigten Gegenwart aus neuen Technologien und Massenmedien, in der die Wirklichkeit scheinbar zu einem endlosen Remake mutiert ist. Dass überhaupt noch Hoffnung auf Idyllen in der Popkultur träumbar sind, verdanken wir heute den unbestechlichen Utopisten, “the lonely Wolves of Pop“, Songschreibern und coolen Stilisten wie Stefan Waggershausen.
Der Weg zur Idylle führt gewöhnlich über tiefe Freundschaften und starke Bündnisse. Und vielleicht verdankt Waggershausen die Erfüllung seiner innersten Träume einer Freundschaft zu einer Gitarre: Gibson ES-150. Dieses  mystische Instrument, eine Vollresonanzgitarre, fand man im Sommer 1938 neben dem toten Robert Johnson – dem King of Delta-Blues.

Der Tod des “Erfinders des Rock’n’Rolls” (Keith Richards) ist noch heute in einen Dunstschleier gehüllt, genau wie der Mythos, die magischen Kräfte und der Verbleib seiner Gibson-Gitarre. Die einen erinnern sich, Johnson sei erstochen worden, die anderen behaupten, sein Tod habe irgendetwas mit schwarzer Magie zu tun.
Stefan Waggershausen ersteigerte sich Mitte 90er Jahre in New Orleans eine Gibson ES-150, die laut den Verkäufern – ganz großen Poeten – angeblich einmal Johnson gehört haben soll.  Die Wahrheit dieser Gitarre balanciert womöglich auf der faszinierenden Grenzlinie zwischen Fakten und Fiktionen. Die Anziehungskraft scheint jedoch bis heute nicht erloschen. Robert Johnson hat über den Preis gesungen, den er zahlen musste für Versprechen, die er versucht hatte zu halten, was ihm jedoch nicht gelungen war. Und vielleicht entstand im Augenblick von Johnsons Tod jene magische Kraft, die von der Fähigkeit ausgeht, der Einsamkeit und dem Chaos des Lebens Ausdruck zu verleihen. Diese magischen Kräfte scheinen auch heute noch in der Gibson Gitarre zu stecken. Davon handelt nicht nur diese Geschichte, nein, dieses Thema findet sich immer wieder in den Songs von Stefan Waggershausen. In “Silberzungenteufel” (1993) setzt er seine Vision vom Teufel und von Voodoo-Predigern in den Rahmen des uralten Echos von Sünde, Verdammnis und Schwermut, eine Welt, über die er auch lachen kann und der er auch heute noch auf der Spur bleibt.

Als Stefan Waggershausen in den 70-er Jahren zum ersten Mal die Songs von Robert Johnson hörte, fühlte er sich in jenem trostlosen Amerika auf seltsame Weise beinahe zu Hause – wie vor ihm schon so Leute wie Muddy Waters, John Lee Hooker, Bo Diddley oder Keith Richards.
Er fühlte sich jedenfalls in der Lage, mittels eines inneren Dialogs mit der Gibson, Kraft aus den Songs von Johnson und der magischen Gitarre zu ziehen, genau wie aus den Verheißungen, auf die wir nicht verzichten könnten, selbst wenn wir es wollten… auf Liebe, Frieden, Seelenheil, Glück und so vieles mehr.  Auf Millionen verkauften Tonträgern hat Stefan Waggershausen seine Vision vom Seelenheil verkündet – manchmal melancholisch, todernst, kompromisslos, dann wieder ironisch, verspielt und göttlich. Und dabei begann für ihn eine Freundschaft mit seiner Gibson, die man nicht unterschätzen sollte. Seine magische Gibson verströmt Signale, Botschaften, Vibrationen und Waggershausen ist bis heute empfänglich geblieben, diese Mitteilungen aus dieser anderen, fernen Welt ganz konkret zu empfangen. In dieser Dialogbereitschaft liegt womöglich seine ganz große Stärke – die ihn auch für das neue Jahrtausend mit jenen Energien und Stilsicherheit füttert, um uns alle mit seinen Stories, Sounds und Feelings zu versorgen.

Aber von was genau erzählt die Gibson ES-150? Von diesem Geheimnis wollen wir hier berichten. Manchmal empfängt Stefan Waggershausen betörende und gleichzeitig verstörende Signale der Sehnsucht, die so extrem sind, dass er sie nur befriedigen kann, indem er selbst gerne so eine Art Dämon werden würde. Denn die Gibson eines Robert Johnson ist natürlich in erster Linie ein Instrument der Lebensangst des Menschen – doch in den richtigen Händen verwandelt sie Menschen zu großen Künstlern der Angst. Waggershausen kennt diese Magie, er hat mit der Gibson stundenlang über ihre Vorstellung vom Teufel diskutiert. Um die Vorstellung des Teufels zu einem Glauben an Liebe, Glück und die Sehnsucht davon zu zwingen.  In “Der schwarze Prinz” (1995) sind Waggershausen’s Gitarrenspiel und die Violine von Al Berard (The Basin Brothers) voller Lust am Rock’n’Roll. Es sind Songs wie diese, die durch ihren Sound im Kopf des Zuhörers ein Kino entstehen lassen. Die Musik scheint von einem Film zu stammen, der nie gedreht, dessen Drehbuch nie geschrieben wurde. Sie ist alles, was Filmmusik sein wollte, aber auf den Tonträgern des musikalischen Geschichtenerzählers ist es reichhaltig vorhanden, weil er eben Musik macht, keine Filme…

Wenn man also heute den  Soundkatalog von Stefan Waggershausen durchhört – von den ersten Versuchen, Bob-Dylan-Songs mit deutschen Lyrics zu transportieren (desolation row – Traumtanzzeit, 1975) vom noch heute sensationell befriedigenden Klassiker “Hallo Engel” aus dem Jahr 1980, von seinen Duett-Affären mit Alice (“Zu nah am Feuer”, 1984), Viktor Lazlo, Ofra Haza, Maria Conchita Alonso bis zum hypnotischen “Ich schieß Dir die Sterne” (1995) aus dem Louisiana-Album, bis zu seinen Gegenwartsklassikern „Der alte Wolf wird langsam grau”, „Endloser Sommer“ mit den Homeboys Jan. J. Liefers, Sasha, Henning Wehland, Thom Hanreich, oder “Für Dich” im Duett mit Nena  –  dann wird offenkundig, dass Stefan Waggershausen mit seiner Gibson in einem großartigen Universum lebt. Mag sein, dass Aussenstehende diese geheimnisvolle Beziehung zwischen Waggershausen und der Gibson nie begreifen können.

Dafür existieren schließlich die Songs und der Sound des Stefan Waggershausen! Davon wollen wir hier erzählen. Er nimmt uns auf eine Entdeckungsreise mit, die vom Traum erzählt, dass dieses Universum perfekt sein könnte. In seinen Songs wird schließlich nur allzu deutlich, dass eigentlich der Mensch in diesem Universum nicht zu Hause ist, aber andererseits ist er nicht gut genug, um ein Besseres zu verdienen – außer man lässt sich auf die Gibson ein!

Es sind fantastische Idyllen, die dabei entstehen. Die Gibson erzählt dem alemannischen Musiker, dass es sich für einen guten Amerikaner wie Robert Johnson gehört, für den Augenblick zu leben und für die Vergangenheit zu sterben.  Und Waggershausen hat die feinen Sensoren, um solche Zwischentöne aufzunehmen und sie mit seiner eleganten deutschen Lyrik auf eine neue Ebene zu heben. Oft wartet nämlich ein Mädchen am anderen Ende der endlos langen Landstraße, behauptet die Gibson.
Sie erzählt ihm oft, dass es die Frauen sind, denen die Sehnsüchte der Männer nicht pragmatisch genug sind. Die Frauen haben sich mit dem Nichts abgefunden und wissen abseits aller Phantasmen die kleine Münze zu schätzen, in der das Glück ausgezahlt wird. Die Helden im imaginären Dialog zwischen Gibson und Waggershausen verlieben sich in solche Frauen und können doch nicht anders, als sie für ihren Realismus anzugreifen. Der Pragmatismus der Frauen, von denen Gibson Waggershausen erzählt, fürchtet die Sehnsucht. Stattdessen träumen die Frauen bei Waggershausen still von einem normalen Leben, das ihnen das Glück beiläufig schenkt. Denn schon beim Ansprechen des Begehrens fürchten sie den Beginn seiner Eliminierung. Die Gibson bringt es dabei auf den Punkt: Wird das Begehrte verraten, tritt es aus dem Schutz der Unberührbarkeit heraus und kann zerstört werden – von anderen wie vom Begehrten selbst. So ist Stefan Waggershausen in den letzten Jahren dank der Dialogbereitschaft zu seiner Gibson ES 150 immer stärker zur Figur des Samurai mutiert. Natürlich hat er die Einsamkeit des Kämpfers längst zu seiner Metapher gemacht – wo die Einsamkeit des Kämpfers für die Existenzialien des Lebens steht, wie zum Beispiel die eines Alain Delon im Film “Le Samurai” von Jean Pierre Melville. Aber Waggershausen will eben gerade nicht den Tod, sondern das Leben, die Liebe, die Idylle. Der Samurai kämpft bevorzugt ohne Masken. Sein Lebensentwurf versucht die Dinge abseits zivilisatorischer Beschönigungen auf Einfaches zu reduzieren: Als Kampf Mann gegen Mann, Mann gegen den Rest der Welt oder Mann gegen das Böse beziehungsweise für das Gute. Aber bei Waggershausen gibt es eben doch das Vertrauen zu den anderen. Das Bild vom Menschen als Wolf gehört zwar zur Grundkonstanten seiner Existenzführung – aber es gibt den letzten Ausweg hin zu einer bürgerlichen Existenz, nach der er sich immer gesehnt hat.

Der Dialog zwischen Stefan Waggershausen und seiner Gibson ES 150 hat erst begonnen. Er wird hier auf diesen Seiten und in seinen Songs weiterleben. Es sollte dabei nie vergessen werden: Die Idealisierung im Pop ist ein Versuch, dem Realen menschliche Seiten abzugewinnen. Stefan Waggershausen ist ein Meister dieser Transformation: Je grösser das Grauen des Realen, um so heftiger schwellen im Songschreiberbewusstsein von Waggershausen die Bilder an, die Realitätszusammenhang anbieten, um Fans seiner Musik mit der dunklen Seite des Realen nicht allein zu lassen. Vielleicht entsteht dabei etwas, dass viele den perfekten Highwaysound nennen, die anderen möchten vielleicht bloß in die Melancholie seiner Musik eintauchen und schweben. Team Gibson-Waggershausen weiß, wie ein perfekter Popsong das Reale zum Genießbaren transzendiert. Dank der Realitätskonstruktion des genialen Songschreibers bleibt eben nicht alles beim sprachlosen Grauen. Er rettet die Welt hinüber in die Popkultur. Dafür sollten wir ihm dankbar sein.